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10 Jahre audioscript

Sonntag, 27. Januar 2019, 11:00 Uhr

Widerständige/vergessene/verdrängte Lokalgeschichte zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.

Vor zehn Jahren konzipierten wir einen Audiostadtrundgang zur Geschichte der Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Dresden. Entstanden ist das audioscript innerhalb eines Kollektivs von Antifaschist*innen, um dem Kanon der Vernachlässigung der lokalen NS-Verbrechensgeschichte historische Quellen, Forschung und Selbsterzählungen der jüdischen Opfer entgegenzustellen. Die zu großen Teilen revisionistische Erinnerungspraxis in Dresden richtet ihren Blick weiterhin nahezu ausschließlich auf die Bombardements am Ende des 2. Weltkriegs und hat dabei vor allem die Stimmen der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus übertönt. Deshalb rückt das audioscript diese Stimmen in den Mittelpunkt und bringt damit jene Zeugnisse zu Gehör, die für die Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen in Dresden zentral sind.

Die Erkenntnisse aus der Geschichte halten wir für einen möglichen Schlüssel zur gesellschaftlichen Gegenwart. Die Verbrechen des Nationalsozialismus weisen über ihre historische Situation hinaus. In der Gegenwart entstehen vielerorts faschistische und autoritäre Gesellschaften. Das Leugnen der Verbrechen während des NS sowie Rassismus und Antisemitismus finden gesellschaftlich wieder Akzeptanz. Der Hass droht wieder tödlich zu werden. Daher ist es uns wichtig, dass über die neu entstandene App Hörer*innen die nationalsozialistische Vergangenheit vor Ort kennenlernen und Konsequenzen für ihr Handeln in der Gegenwart ableiten können. Wir erinnern am Tag der Befreiung von Auschwitz vor allem an Widerstände, „denn Gleichgültigkeit ist in einem bestimmten Moment das Gleiche wie Mord“ (Marek Edelmann, ein Kommandeur des Aufstands im Warschauer Ghetto).

Programm

11 Uhr: Autor*innengespräch zum audioscript – Nachträge, Neuerungen und Bleibendes im Kontext der Erinnerung an die Shoah in Dresden Im Anschluss zeigen wir den für die Konzeption des audioscript prägenden Film SHOAH von Claude Lanzmann, der im letzten Jahr verstorben ist.

12:00 – 21:30 Uhr: SHOAH, Regie: Claude Lanzmann

Der französische Filmemacher Claude Lanzmann legte Mitte der 1980er Jahre mit SHOAH eine der radikalsten und umfassendsten Filmarbeiten über die Vernichtung des europäischen Judentums im Nationalsozialismus vor. 12 Jahre Arbeit, 350 Stunden Material, 9 1/2 Stunden Film gegen das Vergessen.

Dabei verzichtet dieses epische Großprojekt auf Musik, auch auf jegliche Form des Kommentars und vor allem auf historisches Archivmaterial – auf die Bilder von Massengräbern, Gaskammern, von ausgemergelten Körpern. Im Mittelpunkt stehen nicht die Dokumente der Vergangenheit, sondern die Gegenwärtigkeit des Erinnerns. Lanzmann besuchte die Orte der Vernichtung, die „Todesfabriken“ Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Auschwitz und fand Orte vor, über die Gras gewachsen war. Daher die Insistenz, mit der er in Polen, in Israel, in den USA, in Deutschland letzte Augenzeug*innen der Katastrophe – seltene Überlebende der „Sonderkommandos“, Zuschauer*innen und auch NS-Täter – ausfindig machte und zu Deportation und Lageralltag befragte. Das Erlebte aber drängt mit aller Kraft ins Vergessen. Es bedurfte eines hohen, psychologisch geschulten Aufwands und einer ausgefeilten Fragetechnik, um die Befragten zum Sprechen zu bringen und ihnen zu entlocken, was nicht bewältigt werden kann. Ohne chronologische Anordnung und bewusst fragmentarisch präsentiert, ergeben die Interviews ein subtil gewobenes Geflecht ineinander verschränkter Perspektiven auf das Unbegreifliche.

Der Stadtrundgang zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden ist jetzt auch als App erhältlich.

http://audioscript.net/